Der Riese vom Robberg

Oder: Was noch so alles im Lauerturm steckt

Einst, so erzählen manch alte Ettlinger Bürger, hauste auf dem Ettlinger Robberg ein Riese. Er soll kein netter Zeitgenosse gewesen sein: Schlich er sich doch leise an die Frauen heran, die auf dem Berg die Weinreben pflegten und im Herbst die Trauben ernteten, erschreckte sie und trampelte ruchlos durch die mühevoll gehegten Rebstöcke. Doch das Schlimmste war: Er stahl Jahr für Jahr all die süßen Trauben – und ließ nur die kleinen sauren hängen. Manchmal soll er sich sogar vor die Sonne gestellt und einen riesigen Schatten auf den Robberg geworfen haben, so dass die Trauben erst gar nicht reif und süß werden konnten. Hohn und Spott mussten deshalb die Ettlinger Winzer ertragen: Ihr Wein nämlich sei so sauer, dass die Frauen keine Socken mehr zu stopfen brauchten. Sie könnten sie einfach in den Wein legen, der zöge auch die größten Löcher wieder zusammen.

Das konnten die Weinbauern sich nicht bieten lassen! Und so beschlossen sie, den schändlichen Riesen zu fangen und vor das Ettlinger Gericht zu stellen. Nacht für Nacht zogen sie los und suchten den Bösewicht, bis sie ihn in einer finsteren Herbstnacht schlafend auf dem Robberg fanden. Er hatte sich seinen Bauch mit so vielen süßen Trauben vollgeschlagen, dass er an Ort und Stelle des Diebstahls laut schnarchend einschlief. Schnell fesselten die Winzer ihn mit dicken Stricken. Zum Transport in die Stadt mussten sie mehrere Leiterwagen zusammenbinden, so hünenhaft war der Riese.

Kaum in Ettlingen angekommen, standen sie vor einem neuen Problem: Wohin mit dem Gefangenen? Schließlich passte er in kein gewöhnliches Haus. Die Weinbauern überlegten hin und her – bis einer eine gute Idee hatte: „Lasst uns den Kerl in den Lauerturm werfen“, sagte er. „Der ist hoch genug und hat dicke Mauern, da kann der Kerl bis zur Gerichtsverhandlung nicht entkommen“. Gesagt, getan: Der Riese wurde im Lauerturm eingekerkert.

Viele Tage dauerte es, bis der Richter kam. Der Kerkermeister führte ihn zum Lauerturm, öffnete mühsam dessen schweres, knarrendes Eichentor, blinzelte in die Dunkelheit – und stieß einen erstaunten Schrei aus: „Der Riese ist weg!“ Und in der Tat: Im Lauerturm saß … kein Riese. Nur ein einzelner kleiner Zwerg. Der Richter wurde ungeduldig und fragte den Kerkermeister: „Wo ist denn der riesige Bösewicht? Oder habt ihr mich wegen eines Zwerges gerufen?“ Der Kerkermeister zuckte mit den Schultern. „Ich habe den Turm gut bewacht. Und ich habe keinen Riesen hinaus- und auch niemanden hineingehen gesehen. Lediglich Brot und etwas sauren Wein vom letzten Jahr habe ich ihm gegeben.“

Da fingen die umstehenden Winzer laut an zu lachen: „Von dem saueren Gesöff?“, fragte einer und musste sich den Bauch halten. „Da wundert mich auch nichts mehr“, fiel ein zweiter schadenfroh in das Gelächter ein, „der ist geschrumpft wie unsere gelöcherten Socken“. Auch der Richter musste nun grinsen. Und entschied: „Wisst ihr was, Ettlinger, lasst ihn laufen. Er ist gestraft genug. Und ihr werdet ab heute immer süße Trauben und nur den besten Wein haben.“

Der Schweinekrieg

Oder: Warum der Lauerturm kopfsteht
Die Farben Badens und der Lauerturm: Sie zieren das Ettlinger Wappen. Doch warum schwebt der Laueturm im Wappen? Und warum steht er kopf? Sicher nicht, weil unsere Gäste zu viel Wein getrunken oder gläserweise Schnaps intus haben.

Vielleicht wurde zur Entstehungszeit des Wappens nur ein typisch mittelalterliches Siegelbild stilisiert. Etwa eine Burg oder auch ein architektonisches Element des elsässischen Klosters Weißenburg – zu dessen Besitz die alte Siedlung Ediningom, als die Ettlingen im Jahr 788 erstmals erwähnt wurde, einst gehörte. Keiner weiß es mit Sicherheit.

Den ältesten Kopfstand macht der Lauerturm im Wappen einer Urkunde von 1256 – über 60 Jahre, nachdem Kaiser Heinrich VI. (ein Sohn Barbarossas) Ettlingen zur Stadt erhoben hatte und als Ettlingen schon Teil der badischen Markgrafschaft war. Die indes schönste Erklärung für den Lauerturm-Kopfstand liefert die Sage vom Schweinekrieg:

Vor vielen hundert Jahren zogen die Ettlinger Bürger den Zorn der Frauenalber Nonnen auf sich. Mit gutem Grund: Hatten die Städter doch einen riesigen Schweinekoben neben dem Kloster errichtet. Und vom dem hatten die duldsamen Frauen im wahrsten Sinne des Wortes die Nase voll. Denn der Gestank war fürchterlich und störte sie in ihren Gebeten. Fromme Worte und Bitten halfen jedoch nicht: Die Ettlinger weigerten sich, den Stall abzureißen und woanders neu zu errichten. „So viele Silbermünzen haben wir nicht für einen Schweine-Umzug“, war ihr Vorwand.

So brannten die Klosterfrauen den Stall des Anstoßes eines Nachts bis auf die Grundmauern nieder – und zogen damit natürlich den Zorn der Ettlinger auf sich. Die Rache folgte auch sofort: Angeführt von den zwölf Ratsherren der Stadt, marschierten die Bürger zum Kloster, warfen Fackeln auf die Gebäude und sahen zu, wie die Flammen die gesamten Anlage fraßen. Die Nonnen konnten sich mit Müh und Not retten – und beklagten sich umgehend beim Landesherren.

Die Äbtissin und ihre Schwestern erhielten Recht: Der Kaiser verurteilte die zwölf Ratsherren zum Tode und schenkte einen Teil der Ettlinger Waldungen dem Kloster. Und er verfügte: Ab sofort soll das Wahrzeichen Ettlingens, der Lauerturm, im Wappen auf dem Kopf stehen. So dass jeder sehen kann, dass die Ettlinger Schande über die Stadt gebracht haben.

Übrigens: Von den zwölf verurteilten Ratsherren sollen nur elf enthauptet worden sein. Denn der Kaiser fragte seinen klugen Hofnarren nach der elften Hinrichtung, was er denn eigentlich vom Köpfen halte. Der Narr antwortete ehrlich: Nicht viel, ihm gefiele es besser, Pflanzen zu köpfen, denn die hätten die Chance, nachzuwachsen. Der Regent soll so beschämt gewesen sein, dass er den zwölften Ratsherren begnadigte. Die Bürger der Stadt setzten dem Narren dafür ein Denkmal: den Narrenbrunnen vor dem Schloss.